Geschichte vom sexuellen Übergriff frei erfunden – Polizei ermittelt tagelang
(pw) „Sie haben den Frauen, denen so etwas wirklich passiert ist, einen Bärendienst erwiesen“, wandte sich der Staatsanwalt mahnend an Alexandra P. (Name geändert). Die heute 20-jährige Frau ist klein und zierlich, wirkt fast zerbrechlich. Sie saß am Donnerstag auf der Anklagebank des Amtsgerichts Straubing wegen Vortäuschens einer Straftat. Klare Worte der Richterin und des Staatsanwalts.
Vor rund einem Jahr war sie in Begleitung ihres Vaters in der Polizeiinspektion Straubing erschienen, um eine Anzeige zu erstatten. Sie gab an, ein unbekannter Mann habe sie am Bahnhofsplatz in Straubing in sein Auto gezogen. Auf dem Rücksitz habe er versucht, sie auf den Mund zu küssen. Erst nach einem Schlag in den Unterleib des Fremden habe dieser von ihr abgelassen.
Die Polizisten nahmen den Fall zunächst sehr ernst. „Es ist mehrere Tage intensiv ermittelt worden“, sagte der Staatsanwalt, mehrere Beamte seien mit der Aufklärung beschäftigt gewesen, bis sich herausstellte, dass alles frei erfunden war.
Überraschend und wenig erhellend ist dann die Begründung der jungen Frau aus dem Landkreis Straubing-Bogen auf die Frage von Richterin Nelli Schreiber, weshalb sie sich die Geschichte ausgedacht habe. „Meine Eltern sind sehr streng christlich. Ich wollte aber mit meinem Freund in den Urlaub fliegen.“
Ratlosigkeit macht sich im Gerichtssaal breit. „Ich verstehe es nicht ganz“, sagt die Richterin, „wie hängt denn das zusammen?“ Alexandra P. ist die Angelegenheit sichtlich peinlich. „Das weiß ich jetzt selber nicht mehr“, sagt sie mit leiser Stimme, „ich hatte damals psychischen Stress.“ Sie habe sogar mehrere Suizidversuche hinter sich, sei aber jetzt in Therapie.
Der Bericht der Jugendgerichtshilfe bestätigte dies. Alexandra P. habe den Umzug der Familie aus Rumänien nach Deutschland nicht gut verkraftet und Depressionen bekommen, obwohl sie sich äußerlich gesehen schnell integriert hatte. So habe sie trotz anfangs völlig fehlender Deutschkenntnisse einen Qualifizierenden Mittelschulabschluss mit guten Noten erreicht. Ebenso habe sie eine Ausbildung abgeschlossen und arbeite jetzt in Festanstellung in einem medizinischen Beruf. Allerdings habe sie sich schwer getan, Anschluss zu finden, denn sie sei noch stark in der Familientradition verhaftet und wohne bei ihren Eltern. „Ihre Entwicklung ist nicht gefestigt“, sagte die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe.
Die Richterin regte deshalb an, das Verfahren einzustellen. Der Staatsanwalt stimmte dieser Anregung zu, obwohl in solchen Fällen eigentlich ein „gewaltiger Denkzettel“ angebracht wäre. Es lägen tatsächlich besondere Umstände vor. Ungewöhnlich ist auch die Auflage. Neben einer Zahlung von 1.000 Euro an die KUNO-Stiftung Regensburg muss Alexandra P. eine Erörterung zum Thema schreiben: „Die möglichen Folgen beim Vortäuschen einer Straftat.“ Die sechs handschriftlich verfassten DIN-A-4-Seiten muss sie innerhalb von drei Monaten dem Gericht vorlegen.
Auf die Frage der Richterin, wie ihre Familie die Sache aufgenommen habe, sagt Alexandra P., die Eltern seien „enttäuscht“ gewesen, hätten es jedoch akzeptiert, dass sie mit dem Freund in den Urlaub fahre. „Dann war ja erst recht alles umsonst“, sagt Richterin Nelli Schreiber.