Aus dem Gerichtssaal

Verfahren wegen Misshandlung Schutzbefohlener eingestellt

(pw) „Sie waren strafrechtlich nicht verpflichtet, die Arbeit aufzugeben, um Ihren Lebensgefährten zu pflegen“. Mit deutlich sichtbarer Erleichterung nahm am Montag Ludmilla P. (Name geändert) die Worte von Richter Achim Kinsky auf. Das Verfahren wird im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft wegen geringer Schuld eingestellt.

Die heute 59-jährige Frau sitzt auf der Anklagebank des Amtsgerichts, ohne Verteidiger. Nur eine Dolmetscherin ist an ihrer Seite, um ins Polnische zu übersetzen. Die Vorwürfe gegen  die Straubingerin sind massiv. Sie soll, so die Anklage, im Jahr 2021 ihren ehemaligen kurzzeitigen Lebensgefährten, der damals bettlägerig und inkontinent war, nicht ordnungsgemäß gepflegt haben. „Misshandlung Schutzbefohlener“ lautete der Straftatbestand, was für Ludmilla P. umso schwerer wog, weil sie selbst in der Altenpflege arbeitet.

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Auf Nachfrage des Gerichts erzählt sie die Vorgeschichte: Sie habe den gut zwei Jahre jüngeren Helmut B. (Name geändert) aus dem Landkreis Straubing-Bogen Ende 2020 im Internet kennengelernt. „Damals war er nicht krank“, sagt Ludmilla P. Sie habe seinerzeit noch südlich von München gewohnt und gearbeitet, Helmut B. sei jedes Wochenende selbst mit dem Auto zu ihr gefahren. Anfang 2021 habe sie sich in Straubing eine Arbeit gesucht und sei bei ihm eingezogen. Der Zustand ihres Lebensgefährten habe sich durch eine Corona-Impfung sehr verschlechtert, sagt sie. Etwa ab August 2021 habe er nicht mehr aufstehen können, nur noch kurz zum Essen, aber nicht mehr, um zur Toilette zu gehen. Außerdem habe er sehr viel Alkohol getrunken, jeden Tag eine Flasche Wodka.

Ludmilla P. arbeitete weiter Schicht und kümmerte  sich – jedenfalls nach ihren Schilderungen – so gut es ging um ihren damaligen Freund. Dennoch stellten sich Probleme ein. Helmut P. bekam massive Hautentzündungen im Leistenbereich, wohl, weil die Inkontinenzwindeln nicht ordnungsgemäß gewechselt wurden, er musste ins Krankenhaus. Seine Verwandten zeigten Ludmilla P. an. Diese hätten zwar einen Schlüssel gehabt und immer wieder vorbei geschaut, sagt 59-Jährige, seien aber nicht bereit gewesen, die Pflege zu übernehmen. Es habe offenbar auch nicht geklappt, einen Pflegedienst zu organisieren. Pflegegeld habe sie nicht bekommen. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass ich ihn verlassen werde“, sagt Ludmilla P.

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Nicht eindeutig wird vor Gericht die Ursache des damals schlechten Zustandes von Helmut B. Er ist selbst Zeuge, äußerlich vollständig genesen. Während in der Anklage von einem „hirnorganischen Alkoholsyndrom“ die Rede ist und seine Lebensgefährtin die Impfung verantwortlich macht, gibt er eine Krebserkrankung als Grund an. Er habe „aus Verzweiflung“ zum Alkohol gegriffen, sagt er, animiert habe ihn aber Ludmilla P. Er habe früher Bier getrunken, aber niemals Schnaps. Das sei ihre Schuld und sie habe sogar mehr konsumiert als er. Bei der Polizei hatte er außerdem ausgesagt, seine Ex-Freundin habe ihn auch geschlagen, was sie bestreitet: „Ich würde im Leben nie eine kranke Person schlagen.“

In ein Pflegeheim, wie es der Hausarzt vorgeschlagen habe, habe er nicht gehen wollen, sagt Helmut P. als Zeuge. Auf die Frage des Richters: „Ihre Verwandten waren doch bei der Polizei auch so aktiv, warum haben die sich nicht mehr gekümmert?“, antwortet der heute 56-Jährige lapidar: „Die haben halt auch ihr Leben.“ Eine Absprache mit Ludmilla P. habe es nicht gegeben. „Ich habe es aufgrund ihres Berufes erwartet, dass sie sich kümmert.“ Angeblich habe er ihr in bar das Pflegegeld gegeben, das ihm aufgrund seines Pflegegrads zustand. Auch der Staatsanwalt will wissen: „Wie haben Sie das konkret ausgemacht, dass Frau P. sie pflegt?“ Helmut B. beruft sich auf Erinnerungslücken: „Das ist lange her.“

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Nach einem Rechtsgespräch zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft macht Richter Kinsky den Vorschlag, das Verfahren einzustellen. „Es ist sicher sehr viel schief gelaufen in dem Fall“, resümiert er, „es hätte auf jeden Fall einen Pflegedient gebraucht.  Aber Helmut B. hat Sie als berufstätig in Vollzeit kennengelernt“, sagt der Vorsitzende, „er konnte nicht erwarten, dass Sie Ihre Arbeit so organisieren, dass Sie ihn pflegen können.“