Staatsanwalt: „Die ganze Klaviatur des Strafgesetzbuches“
(pw) Adrian V. (Name geändert) habe im letzten Frühjahr und Sommer keine gute Phase gehabt, meinte die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Der heute 21-Jährige aus einer Gemeinde im Landkreis Straubing-Bogen saß deshalb am Dienstag auf der Anklagebank des Jugendschöffengerichts. Der Staatsanwalt verliest gleich vier Anklagen, alle gehen zurück auf verschiedene Vorfälle zwischen März und Juni letzten Jahres.
Der Arbeitslose soll einen damals 19-jährigen Mann bei einer Auseinandersetzung in der Innenstadt mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Laut Anklage fuhr er im Mai erst betrunken mit dem Mofa, nur Tage später setzte er sich an das Steuer eines Autos – obwohl er keinen Führerschein hatte und nach dem Genuss einer Flasche Wodka, fünf Halben Bier sowie dem Konsum von Cannabis und dem Beruhigungsmittel Tilidin. Die Folge: Er fuhr gleich zweimal in seinem Wohnort in einen Gartenzaun, weil er Gas und Bremse verwechselt hatte. Im Juni klaute er aus einem Supermarkt in Regensburg eine hochwertige Flasche Whiskey und wurde erwischt.
Adrian V. ist strafrechtlich kein unbeschriebenes Blatt und der Staatsanwalt deutet an, es seien noch weitere Verfahren anhängig. Die Schöffensitzung endet für ihn glimpflich, vor allem wegen einer Verständigung, die zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gleich zu Beginn ausgehandelt worden war. Im Falle eines Geständnisses wurde ihm eine Jugendstrafe mit Bewährung zwischen einem halben und einem Jahr zugesichert. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Georg Kimmerl blieb schließlich mit neun Monaten in der Mitte. Verurteilt wurde der Arbeitslose wegen Körperverletzung, Diebstahl, fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Straßenverkehrsgefährdung.
Adrian V. lässt über seinen Verteidiger Uwe Grabner eine Erklärung abgeben und gibt alle Vorwürfe zu. Weiter nimmt der 21-Jährige nicht zu den Anschuldigungen Stellung, auch nicht auf Nachfragen des Gerichts. Ohne sein Geständnis freilich hätte sich vor allem die Schlägerei in der Bahnhofstraße nicht nachweisen lassen, denn die beiden Zeugen sind ebenso wortkarg wie der Angeklagte. Die 18-jährige Melanie T., die damalige Freundin des Opfers, hat im Gerichtssaal plötzlich Gedächtnislücken. Bei der Polizei hatte sie seinerzeit ausgesagt, ihr Freund und sei nach einem Schlag von Adrian V. zu Boden gegangen. Davon wollte sie im Zeugenstand nichts mehr wissen. Ihre Freundin, die Schwester damaligen Freundes, habe ihr alles nur erzählt. „Dann haben Sie einmal gelogen“, sagte der Staatsanwalt. „So einfach geht das vor Gericht nicht“, mahnte der Vorsitzende Richter, „ich glaube Ihnen Ihre Aussage nicht.“ Für Melanie T. wird dieser Auftritt vermutlich noch strafrechtliche Folgen wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage haben.
Auch ihr damaliger Freund nimmt die Situation wenig ernst. Er sitzt lümmelnd auf dem Zeugenstuhl und beruft sich darauf, er sei damals „betrunken ohne Ende“ gewesen. Nur mühsam kann das Gericht ihm entlocken, dass ihm bei der Schlägerei der Ohrring ausgerissen wurde. „Auffällig ist, dass der Angeklagte die ganze Zeit lacht, wenn Sie aussagen“, stellt der Staatsanwalt fest.
Adrian V. sei schon früh in der Schule mit Marihuana in Kontakt gekommen, berichtet die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Auch nach Mittel- und Berufsschule habe er nur wechselnde Jobs gehabt und sei immer wieder arbeitslos gewesen. Sein Problem seien Alkohol- und Drogenkonsum. „Eine Flasche Wodka pro Tag“, habe er täglich konsumiert, sagt der 21-Jährige auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters, allerdings „jetzt nicht mehr“. Er habe seinen Konsum „einfach so“ auf ein bis zwei Bier reduziert und sei freiwillig bei der Suchtberatung der Caritas gewesen.
Der Staatsanwalt will das nicht so recht glauben. „Da sagen meine Akten etwas anderes“. Der Anklagevertreter findet auch in seinem Plädoyer deutliche Worte. „Sie haben im letzten halben Jahr die ganze Klaviatur des Strafgesetzbuches bespielt“, sagte er, es seien „erhebliche Persönlichkeitsmängel“ festzustellen. Adrian V.s Geständnis sei ein „reines Lippenbekenntnis“, mit dem er sich die Verständigung erworben habe, aber er zeige keine Schuldeinsicht und Reue. Es spreche wenig zu Gunsten des Angeklagten, deshalb müsse er beide Augen zudrücken. Er beantragte ein Jahr Jugendhaft mit Bewährung, also an der Obergrenze der Verständigung. Dies sei die letzte Verurteilung nach Jugendstrafrecht, warnte der Anklagevertreter.
Verteidiger Uwe Grabner hingegen betonte, sein Mandant sei kooperativ gewesen und habe die Problematik erkannt. Das zeige sich darin, dass er alle Auflagen aus früheren Verfahren erfüllt habe und freiwillig die Suchtberatung aufgesucht habe. Der Rechtsanwalt plädierte nur für eine sechsmonatige Bewährungsstrafe.
In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter Georg Kimmerl, ein Geständnis sei immer positiv zu werten. Allerdings seien bei Adrian V. „schädliche Neigungen“ festzustellen. „So kann es nicht weitergehen, Sie haben alle Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen“, redete der Richter dem Angeklagten ins Gewissen. Als wichtigste Bewährungsauflage muss der 21-Jährige einen sozialen Trainingskurs absolvieren, außerdem 60 Arbeitsstunden ableisten und darf die nächsten eineinhalb Jahre keine Fahrerlaubnis erhalten.