Leidet unser Gesundheitssystem am „Profit-Virus“?
(ra) „Selbstverantwortung, Solidarität und Wirtschaftlichkeit mit notwendigen, ausreichenden und zweckmäßigen Leistungen für die Bevölkerung sind die definierten Grundsätze unseres Gesundheitssystems“ betonte einleitend der Arzt und ÖDP-Landtagskandidat Dr. Michael Röder bei seinem Vortrag am Montag im Hotel Murrer in Aiterhofen.
Von einem Ziel der „Dividendenerwirtschaftung für Finanzinvestoren“ sei hingegen niemals die Rede gewesen, als in Deutschland nach dem Krieg eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung aufgebaut wurde. Leider habe man in den letzten zwei Jahrzehnten dem neoliberalen Zeitgeist folgend zugelassen, dass das Gemeinwohlprinzip abgeschwächt wurde und der „Profit-Virus“ sich verbreiten konnte. „Das Bemühen um Reform muss sich jetzt an den bewährten Grundsätzen des Sozialsystems orientieren: Hohe Qualität bei der notwendigen medizinischen Versorgung, anständige Löhne und Einkommen für Pflegeberufe und ärztliche Leistungen, aber Schluss mit Profitorientierung und Renditeerwartungen von Finanzinvestoren, die sich in Heime, Kliniken und medizinische Versorgungszentren einkaufen!“
Röder erinnerte an den furchtbaren Fall völlig verwahrloster Heimbewohnerinnen und -bewohner in einer oberbayerischen Pflegeeinrichtung, der erst vor zwei Jahren aufgedeckt wurde. Dort habe die Profitorientierung des Trägers ihr hässlichstes Gesicht gezeigt. „Eine ordentlich betriebene Einrichtung kann genau genommen keine Gewinne erzielen“ führte der Referent aus. Wenn aber tatsächlich Dividenden abfließen, dann gehe das in aller Regel nur über Ausbeutung des Personals und eine gefährliche Reduzierung der Leistungen für die Pflegebedürftigen.
Eine andere Spielart der Profitorientierung im Gesundheitswesen sei das System von „Zielvereinbarungen“. Dabei werde mit leitenden und angestellten Ärzten eine Mindestmenge an Operationen oder anderen Leistungen in bestimmten Zeiträumen festgelegt. „Unter solchen Bedingungen besteht die Gefahr, dass einfachere und kostengünstige Behandlungen vermieden werden, um hochpreisige Leistungen abrechnen zu können – zum Schaden der Solidargemeinschaft und manchmal auch der Gesundheit der Patienten“ kritisierte Röder. Vor allem das System der „Fallpauschalen“ für die Kliniken habe eine Steigerung der Fallzahlen, bei Reduzierung der Pflege und massiver Arbeitsverdichtung provoziert. Auch der Fraktionsvorsitzende der ÖDP/PU im Kreistag, Dr. Christian Waas, forderte eine ausschließlich am Patienten und den Notwendigkeiten des Falles orientierte Behandlung. Die Medizin habe wie alles in der Welt auch eine ökonomische Seite; sie dürfe sich aber niemals zum Knecht der Betriebswirtschaft degradieren lassen.
Röder kritisierte massiv das vom Gesetzgeber ermöglichte Schlupfloch für den Betrieb der sog. „investorengetragenen medizinischen Versorgungszentren (iMVZ)“. Auch die Bundesärztekammer plädiere für das Verbot von „Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen“, mit denen „fachfremde Dritte“ Einfluss auf medizinische Einrichtungen nehmen können. So sinnvoll MVZ als moderne Form der ärztlichen Versorgung auch sein könnten, so problematisch sei deren Betrieb durch Finanzinvestoren: „Wenn Umsatzsteigerung und Konzentration auf Ballungsräume vorrangig sind, wird die flächendeckende Versorgung geschwächt und dem Solidarsystem Geld für die optimale Versorgung aller Beitragszahlenden entzogen.“ Dr. Waas ergänzte: „iMVZ konzentrieren sich im Regelfall auf finanziell lukrative Leistungen, während die eigentliche Patientenversorgung den anderen Ärzten überlassen wird. Das nutzt niemandem außer den Investoren.“
In der lebhaften Diskussion nach Röders Vortrag verglich ein Besucher der Versammlung die Sachlage mit dem öffentlichen Brandschutz: „Wir unterhalten überall leistungsfähige Feuerwehren, bezahlen sie aber aus gutem Grund nicht nach der Menge der Einsätze.“ Auch ein leistungsfähiges Gesundheitssystem müsse sich eine human orientierte Gesellschaft „leisten“, ohne auf Umsatzsteigerung und Dividendenerzielung für Kapitalgeber zu schielen.