70 Jahre Ferrari: Ein Mann und sein Credo vom Zwölfzylinder
(amp) Der Name Ferrari steht für pure Emotion auf vier Rädern. Kein anderer Automobilhersteller vermag seit nunmehr 70 Jahren mit einem so kleinen Produktprogramm so viele Menschen zu begeistern. Wenn sie auch nur einen Tropfen Benzin in ihren Adern spüren, verfallen die meisten der Faszination der italienischen Schönheiten.
Keine andere Marke der Autogeschichte ist so eng mit dem Namen seines Gründers verbunden. Der Mann mit dem italienischen Allerweltsnamen Ferrari brachte mit seinem Werk das Automobil quasi als große Oper auf die Autobühne. Der am 18. September 1898 im oberitalienischen Modena geborene Enzo Anselmo Ferrari stammte aus gutbürgerlichem Hause und fixierte sein Leben auf zwei Dinge: Autos und Autorennen. Mit dieser vorbehaltlosen Fokussierung auf eine überschaubare Anzahl an Schwerpunkten gelang ihm etwas, was nur wenigen Menschen vergönnt ist: ein Lebenswerk, das seinen Namen für alle Zeiten unsterblich macht.
Es gibt eine unendliche Zahl von Büchern über die Marke Ferrari und Biografien seines Gründers und eine Vielzahl von Dokumenten über persönliche Begegnungen, von Geschäftspartnern, Ingenieuren, Rennfahrern, Kunden, Prominenten oder Journalisten mit dem „Commendatore“. Ferrari bleibt dennoch bis heute einer einheitlichen Bewertung entzogen. Er war im wahrsten Sinn des Wortes ein „komplexer Charakter“, besser noch, ein „ambivalenter Charakter“. Wer sein Vertrauen genoss, erfreute sich väterlicher Zuneigung, wer Widerspruch formulierte, gar Aufsässigkeit, durfte mit lebenslangem Unmut bis hin zur Rachsucht rechnen.
Enzo Ferrari überführte die individuelle Mobilität, die das Auto den Menschen gab, in neue Dimensionen des Luxus, des Glamours. Ferraris Kunden dagegen waren und sind deckungsgleich mit dem „Who is Who“ von internationalem Adel, Politik, Finanzwelt, Film und Prominenz. Ihm selbst ging dagegen jegliche Form von Glanz in der persönlichen Selbstdarstellung und Lebensführung ab. Er blieb ein bodenständiger Mensch, der mit wenigen Ausnahmen in jungen Jahren seine Heimat nie verließ.
Die Karriere Ferraris begann als aktiver Fahrer am 18. Oktober 1919 beim Bergrennen Parma – Pogio di Percato. Seine Erfolge und seine Zielstrebigkeit imponierten Nicola Romeo. Bereits 1920 hatte es Enzo Ferrari zum Werksfahrer gebracht. Er bestritt rund 40 Rennen mit immerhin einem Dutzend Siegen. Warum er schließlich 1924 nach dem Training zum Großen Preis von Frankreich in Lyon kommentarlos sein Cockpit gegen ein Zugabteil in Richtung Modena tauschte, zählte zu den zahlreichen einsamen Entscheidungen, die Ferrari einfach traf, ohne sich jemals der Mühe zu unterziehen, sie zu begründen.
Am 1. Dezember 1929 hatte Enzo Ferrari die „Società Anonima Scuderia Ferrari“ gegründet. Ein professioneller Rennstall, der das Sportprogramm von Alfa Romeo mit größter Professionalität organisierte. Im Verlauf der Dreißiger war die Scuderia Ferrari der einzige Rennstall, der den dominierenden Staatsbetrieben von Mercedes und Auto Union mit ihren Silberpfeilen wenigstens hin und wieder Paroli bieten konnte.
Die Scheidung zwischen Alfa und Ferrari mündete in einem herzhaften Rosenkrieg. Ferrari musste sich vertraglich verpflichten, vier Jahre lang kein eigenes Auto zu bauen. Der Krieg vereitelte Ferraris Karriere als Autobauer. Er produzierte für das Militär, bis ein alliiertes Bombardement seine Fabrik in Modena zerstörte. Ferrari, Mitte Vierzig, zog in das weniger gefährdete Maranello und hätte unter Umständen den Rest seines Lebens als mittelständischer Produzent von Werkzeugmaschinen bestritten, wenn in Modena nicht der Industrielle Alfred Orsi (1888 – 1972) und die Gebrüder Maserati gemeinsame Sache gemacht und unmittelbar nach dem Krieg wieder mit der Produktion von Renn- und Sportwagen begonnen hätten und diese auch erfolgreich einsetzten. Maserati war vor dem Krieg der erbittertste italienische Rivale Ferraris gewesen.
Ferrari reagierte auf seine unverwechselbare Art und begann 1946 das erste Auto unter seinem Namen zu bauen. Für das Projekt hatte er den ehemaligen Alfa-Chefkonstrukteur Gioacchino Colombo (1903 – 1987) abgeworben. Der konstruierte gerade ein Jahr nach dem Krieg für seinen neuen Boss nichts Geringeres als einen Zwölfzylindermotor. Komplett aus Leichtmetall gefertigt. Mit lediglich 125 Kubikzentimeter Hubraum pro Verbrennungseinheit, sodass der Motor insgesamt nur über 1,5 Liter Hubraum verfügte. Im Kopf jeder der beiden Zylinderbänke rotierte eine obenliegende Nockenwelle für die Ventilsteuerung.
Der V12 leistete 90 PS bei 6000 Umdrehungen pro Minute (U/min). Der Zwölfzylinder wurde Ferraris motorisches Kredo. Der Colombo-Motor war tatsächlich eine Jahrhundert-Konstruktion. Ausbaufähig bis 4,5 Liter Hubraum und bis zu 400 PS Leistung und eingesetzt bis zum 412i von 1986.
1947 war somit die offizielle Geburtsstunde der Marke Ferrari, die mit den beiden, in Handarbeit entstandenen 125 S, bei ihrem ersten Rennen, beim „Grand Primo die Caracalla“ in Rom antraten und gleich den ersten Rennsieg für Ferrari einfuhren.
Rennsiege definieren seit jeher den Sexappeal eines Sportwagens. Und regulieren dessen Begehrlichkeit. Die Kunden aus Geld- und/oder Hochadel pilgerten bald in Scharen nach Maranello, um eines der raren Fahrzeuge zu erwerben, die die Grenzen zwischen Sport- und Rennfahrzeug aufhoben.
Da Ferrari in den ersten Jahren die Fertigung seiner Kleinserien den Karosseriemanufakturen der Umgebung wie Touring, Fantuzzi oder Scaletti überlies, entstand eine große Vielfalt der Typen, die aufgrund der kleinen Auflagen zu gesuchten Sammlerstücken reiften. Der Commendatore verkaufte seine Autos freilich nicht. Er teilte sich nach Gusto und Sympathien zu. In Ferraris Vorzimmer war Geduld die vornehmste Tugend für potentielle Kunden. Auch wenn man der Schah von Persien war. Dafür bekam jeder ein Auto, das ganz auf seine Bedürfnisse zugeschnitten war.
Mit der steigenden Nachfrage und den wachsenden Auflagen, sah sich Enzo Ferrari gezwungen, beim Design professionelle Wege zu gehen und schuf Anfang der Sechziger eine bis heute bestehende Partnerschaft mit dem Studio Pininfarina.
Als Unternehmer erfolgreich, stand Ferraris Sinn dennoch nie nach einem gut gefüllten privaten Bankkonto. Er steckte jede verdiente Lira in den Rennsport. Seit dem zweiten Rennen der neu gegründeten Formel 1 hat Ferrari nie mehr einen Lauf der Serie geschwänzt. Mit 15 Fahrer-Weltmeisterschaften, 223 GP-Siegen und 16 Konstrukteurstiteln ist Ferrari die mit Abstand erfolgreichste Marke in der Formel 1. Die Titel und Siege der Sport- und Tourenwagen sind kaum zu zählen.
Der Unternehmer Enzo Ferrari agierte stets als ausgekochtes Schlitzohr. 1969 verkaufte er die Mehrheit seiner Firma an Fiat, sicherte sich jedoch die Oberhoheit über die Rennabteilung. Somit konnte Enzo Ferrari auch weiterhin jede verdiente Lira in den Rennsport stecken.
Bis zu seinem Tode 1988 residierte Enzo Ferrari zurückgezogen in einem bescheidenen Haus, inmitten des Testgeländes in Maranello, von der Öffentlichkeit immer weiter entrückt, von Jahr zu Jahr pressescheuer.
Sein Werk lebt weiter, als Hersteller so erfolgreich wie nie zuvor. Das das aktuelle Modellportfolio umfasst den 488 GTB, ein Mittelmotorcoupé, dessen Achtzylinder 492 kW / 670 PS mobilisiert und das Cabriolet California T mit 412 kW / 560 PS. Die Fahne der klassischen V12-Boliden halten der F12 Berlinetta mit 544 kW / 740 PS und der in diesem Frühjahr vorgestellte GTC4 Lusso vor, dessen V12 507 kW / 689 PS leistet. 2015 feierte Ferrari mit 7664 ausgelieferten Fahrzeugen das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte.
Text von Thomas Lang, cen
Alle Fotos: Ferrari