Europa-Gespräch mit Ismail Ertug, MdEP: „Wir brauchen mehr Europa!“
(rp) Zum Generationengespräch mit dem Europa-Abgeordneten Ismail Ertug lud der SPD-Arbeitskreis Labertal sowie die SPD AG 60+ Niederbayern am Samstag in die Taverne Korfu (ehem. Gasthof Wild) in Geiselhöring ein. Beim Thema „Europa – zwischen Angst und Hoffnung“ entwickelten sich interessante Gespräche mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Als „überzeugter Europäer, Oberpfälzer und Sozialdemokrat“ ging Ertug auf die verschiedenen Fragen und Meinungen ein und stellte seine Antworten darauf ausführlich dar. Die Themen reichten vom Brexit über die Landwirtschaft und dem Lobbyismus hin zu Griechenland und der Flüchtlingspolitik. Die Zukunft Europas und die SPD-Europapolitik schlossen den Themenreigen ab.
Mit dem Europaabgeordneten Ismail Ertug habe man einen Insider zu sich ins Labertal nach Geiselhöring eingeladen, der die Anwesenden über die aktuelle Lage in Europa bestens aufklären könne, so Rainer Pasta, Sprecher des AK Labertal, der sich in seiner Begrüßung besonders über die Teilnahme von Reinhold Perlak, MdL a.D. und ehemaligen Europapolitiker der SPD-Landtagsfraktion, freute. Irene Ilgmeier, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 60+ im Landkreis Straubing-Bogen, betonte, dass vor allem die Jugend beim Thema Europa gefordert sei und sich aktiv in die aktuellen politischen Diskussionen einbringen müsse.
Brexit und jetzt?
Das erste Thema, das in die Diskussion gebracht wurde, war der Brexit und seine Folgen für Großbritannien, Europa und Deutschland. „Es ist für mich unvorstellbar zu glauben, dass man alleine stärker ist, als zusammen“, kommentierte Ertug das Votum Großbritanniens. Die Folgen dieses Votums seien bereits jetzt spürbar. „Die Wirtschaft Großbritanniens wird eine Vollbremsung hinlegen und die Briten werden ihre Entscheidung noch zutiefst bereuen“, so Ertug. „Hoffentlich haben jetzt auch andere nationale Regierungen kapiert, dass ihr dauerndes EU-Bashing ernsthafte Folgen hat und sie dafür die Verantwortung tragen.“
Landwirtschaft – Subventionen – Lobbyismus und die Verantwortung der Politiker
Ismail Ertug, u.a. stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, freute sich über eine Frage zur Landwirtschaftspolitik in Europa. So fürchtete ein Zuhörer durch fehlgeleitete Subventionen eine Entwicklung hin zu „kombinatähnlichen Großbetrieben“, ein anderer fand die Exporte u.a. nach Afrika verantwortungslos, weil damit die dortige Selbstversorgung zerstört werde.
[the_ad id=“8202″]Ertug bestätigte die Problematik der Subventionierung, die vor allem Großbetrieben zu Gute käme. „Alle reden von Regionalisierung und der Förderung von heimischen Produkten“, stellte Ertug in den Raum und erklärte im gleichen Atemzug, dass er dies alles nur für unaufrichtige Sonntagsreden halte. Die Macht liegt beim Bayerischen bzw. Deutschen Bauernverband und hier seien die Ziele andere: „Wachstum und Export um jeden Preis“.
Beim Thema Lobbyismus, waren die Zuhörer von der Position Ertugs überrascht: „Es gibt heute Regeln für den Umgang mit Lobbyisten. Die erlauben es Abgeordneten, sich von unterschiedlichen Interessenvertretern informieren zu lassen, ohne ihnen zu große Einflussmöglichkeiten zu bieten“. Dies gelte z.B. für die Milchbauern, wie auch für alle übrigen Erzeugerbereiche auf dem Sektor Landwirtschaft. „Lobbyisten müssen für ihre Anliegen werben, daran ist nichts verwerfliches“, so Ertug, der gleichzeitig den Abgasskandal anführte, wo der Lobbyismus ins Negative verkehrt wurde.
„Marshall- Plan“ für Griechenland die bessere Lösung
Stadtrat Harry Büttner brachte schließlich die Griechenlandkrise ins Gespräch und wollte wissen, ob diese nun ausgestanden sei. Ertug verneinte dies ganz offen und prognostizierte sogar, dass sich die Krise auf die anderen südeuropäischen Staaten ausgedehnen würde, wenn das Spardiktat der konservativ-liberalen Kommission weiter die Prämisse der Politik bleibe. Die Antwort auf diese Krise, von der Deutschland sogar profitiere, müsse mehr europäische Solidarität sein, so Ertugs Gegenposition. Die einseitige Forderung nach immer neuen Sparmaßnahmen liessen Staaten wie Griechenland nie mehr auf die Beine kommen und weite Teile der Bevölkerung verarmen. „Ein „Marshall- Plan“ für Griechenland wäre flankierend die bessere Lösung, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und die Finanzprobleme über Wachstum zu lösen“, so Ismail Ertug
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Europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik
Bei der Flüchtlingspolitik kritisiert Ertug die Nachlässigkeit von Deutschland und Frankreich zu Beginn der Flüchtlingskrise, die Länder wie Griechenland, Italien, Spanien oder Zypern allein gelassen hätten, indem sie sich auf das Dublin-Verfahren berufen. „Wir als SPD haben uns in dieser Sache nichts vorzuwerfen. Wir haben gesagt, dass das Dublin-Verfahren diese Länder an den Rand ihrer Existenz bringen wird“, sagt er und wies darauf hin, dass Dublin II bis heute gelte und immer noch nicht funktioniere. „Wir müssen die Dublin-II-Verordnung ändern“, forderte er, dass also Flüchtlinge nicht in dem Land, in dem sie europäischen Boden betreten, einen Asylantrag stellen müssten. Die Flüchtlinge müssten auf alle europäischen Staaten verteilt werden. Ebenso müssten die Fluchtursachen unter Mitwirkung der EU beseitigt werden.
Die Zukunft Europas: Eine gemeinsame Friedensarmee
Auf die Frage nach einem Weg, der die derzeitigen Differenzen der europäischen Staaten überwinden und mehr Einigkeit herstellen könne, antwortete Ertug mit der Forderung nach einer gemeinsame Friedensarmee. „Eingebunden in eine europäische Außen- und Handelspolitik, ist eine europäische Armee für uns eine langfristige Perspektive“, so Ertug. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens, das bisher eine gemeinsame Armee strikt ablehnte, und der zunehmenden Angst der osteuropäischen Staaten vor Putins Russland, wachse die Bereitschaft, Kompetenzen abzugeben und auf engere militärische Zusammenarbeit zu setzen. „Die gemeinsame Währung und eine gemeinsame Verteidigung – darauf liesse sich die Zukunft Europas aufbauen“, zeigte sich Ertug überzeugt.
Sozialdemokratische Europapolitik: Nachhaltigkeit vor Eigeninteresse
Ertug stellte klar, dass Europa mit der Wahl von Martin Schulz zum Präsidenten des Europäischen Parlaments, an herausragender Stelle ein sozialdemokratisches Gesicht bekommen habe. Ein unabdingbares Gegengewicht zur konservativ-liberalen Mehrheit in Europa, denn Europa müsse viel Gemeinsamkeit und Einigkeit zeigen und sei nicht nur Wirtschaftsgemeinschaft. Auf sich alleine gestellt könnten die Nationalstaaten keine Maßnahmen gegen Lohn- und Steuerdumping, den Klimawandel oder die Auswüchse der Finanzmärkte ergreifen.
„Die Europäische Union ist nicht perfekt – aber sie ist bisher das beste Konstrukt, um ein friedliches Miteinander in Vielfalt zu garantieren“, zeigte sich Ertug überzeugt. Wenn die Politiker sich als die Getriebenen der Probleme zeigten, seien die Bürger enttäuscht und würden verunsichert. „Wir brauchen eine Politik, die eine klare Haltung, eine nachvollziehbare Strategie aufzeigt, nur so können wir den Bürgern Orientierung geben, das ist die Aufgab der Politik“, erläutert Ertug mit einem Seitenhieb auf die Wechselhaftigkeit eines Horst Seehofers.