Tarifflucht stoppen – Auch der Bruder Straubinger sucht eine Firma mit Tarifvertrag
(ra) „Tarifverträge und Tarifflucht“ – Unter diesem Motto machte der Ortsverein der Gewerkschaft ver.di, der für die Stadt Straubing und für den kompletten Landkreis Straubing-Bogen zuständig ist, am Samstagvormittag eine Fußbodenzeitung am Steiner-Thor-Platz. Unterstützt hat den Ortsverein dabei die Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft (GEW) und der Bruder Straubinger.
In vielen europäischen Ländern ist man sich einig, dass Tarifverträge gleiche Wettbewerbsbedingungen für Arbeitgeber und faire Lebensbedingungen für Beschäftigte schaffen. In Bayern sehen das die Arbeitgeberverbände seit Ende der 90er Jahre anders. So konnten die Passanten in der direkt vor Ort erstellten „Straubinger Gewerkschaftszeitung“ lesen, dass es beispielsweise in den Nachbarländern Frankreich, Belgien oder Österreich über 95 Prozent Tarifbildung gibt, in Deutschland dagegen nur noch 56 Prozent, in Bayern gar nur noch knapp 53 Prozent. Damit bildet der Freistaat das Schlusslicht aller westdeutschen Bundesländer.

Schmutzkonkurrenz und tarifliche Unterbietungswettbewerbe zu Lasten der Beschäftigten schaffen Probleme, die nur mit Tarifverträgen und Allgemeinverbindlichkeit behoben werden können. Die Gewerkschaftsmitglieder machten deutlich, dass ohne Tarifverträge die Einkommen der Beschäftigten niedriger, die Arbeitszeiten länger und die Arbeitsbedingungen schlechter ausfallen. So sind zehn Tage Unterschied vom gesetzlichen zum tariflichen Mindesturlaub oft keine Seltenheit.
Für viele Beschäftigte kann eine Tarifflucht ihrer Arbeitgeber fatale Folgen haben, denn durch eine geringere Bezahlung kann Altersarmut vorprogrammiert sein. ver.di zeigte auch auf, dass sich im Handel die Tarifbindung in Westdeutschland von 2000 bis 2017 von 71 Prozent auf 37 Prozent fast halbierte.

Bei Tariftreue und Tarifflucht fordern die Gewerkschaften ver.di und GEW ein Umdenken durch die Politik. Diese könnte helfen z. B. durch die Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen und durch die Vorgabe von Tarifstandarts bei öffentlichen Aufträgen.
Bei der AVE geht es darum, bestimmte tarifvertragliche Mindeststandarts für alle Unternehmen einer Branche verbindlich zu machen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass nicht-tarifgebundene Unternehmen allein durch niedrige Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen Wettbewerbsvorteile erlangen.

Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Stabilisierung des Tarifvertragssystems sind Tariftreuevorgaben bei öffentlichen Aufträgen. Ver.di und GEW möchten keine zunehmende Lohnungleichheit durch sinkende Tarifbindung.
Es wurde nicht nur eine Fußbodenzeitung als „Hingucker“ erstellt, um das Interesse der Passanten zu diesem wichtigen Thema zu wecken. Nein, auch der Bruder Straubinger wollte auf die Situation aufmerksam machen und half bei der Aktion als „Eyecatcher“ mit. Ausgestattet mit einem vorne und hinten beschrifteten „Umhang“ klagte er sein Leid: „Ich suche mir eine Firma mit Tarifbindung“.