Landkreis Straubing-BogenStraubing

Die Geburtsstunde des ÖDP-Kreisverbandes Straubing-Bogen und was daraus wurde

(jh) Es war der 24. Mai 1986 – etwa vier Wochen nach dem Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl. Im Gasthaus Wagner in Leiblfing saßen an einem Tisch: Bernhard und Eva Suttner, Ulrike Silberbauer-Jurgasch, Armin Weidinger und Martha Altweck-Glöbl – junge Eltern, die sich nach dem Reaktorunglück bei ihren Sorgen um ihre kleinen Kinder alleingelassen fühlten. Die Staatsregierung hatte alles heruntergeredet. Die Frauen und Männer am Biertisch wussten nicht, woher sie unbelastete Lebensmittel bekommen sollte. Der eigene Garten musste umgepflügt werden, der Sandhaufen war tabu, durch den Regen war alles mit radioaktiver Strahlung belastete. Das Amt für Landwirtschaft Straubing-Bogen hatte die Gemüseerzeuger bereits auf Anträge zum Schadensausgleich hingewiesen.

Es war die Gründungsstunde des ÖDP-Kreisverbandes Straubing-Bogen. „Ich war empört über die damaligen Verhältnisse, wollte ‚Flagge zeigen'“, erinnert sich Martha Altweck-Glöbl. Gemeinsam wollten die Fünf in das politische Gefüge eine neue Stimme einführen – eine Stimme für Ökologie, für die Familien udn für den Erhalt der Lebensgrundlagen. Und so kandidierte noch im selben Jahr das weibliche Dreigestirn Eva Suttner, Ulrike Silberbauer-Jurgasch und Martha Altweck-Glöbl für den Landtag und den Bezirkstag. Ein Jahr später zogen Bernhard Suttner und Maria Wittman in den Kreistag sowie Luitgard Engel in den Straubinger Stadtrat ein.

Ein Wahlplatz dokumentiert: Frauenpower („Drei Frauen gegen die Übermacht“) bei der ÖDP schon 1987 – auch ohne Quotenregulierung: Eva Suttner, Ulricke Silberbauer-Jurgasch und Martha Altweck-Glöbl – Foto: Haas

Die ÖDP wollte über die Kommunalpolitik ihren Einfluss geltend machen. „Aber dieser Weg ist ein mühsamer Weg und mach braucht einen langen Atem“, weiß Martha Altweck-Glöbl heute – 34 Jahre später. Bernhard Suttner erkannte schon damals, dass ein außerparlamentarischer Weg, das verfassungsmäßige urdemokratische Recht auf Volksbegehren, eine Chance war, existentielle Fragen an die Bevölkerung zu bringen. Bereits 1990 fand das Volksbegehren zum „Besseren Müllkonzept“ statt. Die Gründungsmütter und -väter wissen heute: „Das war die Initialzündung für die Gründung der Wertstoffhöfe, von denen der Landkreis Straubing-Bogen bis heute über die niedrigen Müllgebühren profitiert“.

ÖDP – die Partei der Volksbegehren

Es folgten noch weitere Volksbegehren wie etwa 1997 „Schlanker Staat ohne Senat“, 1998 „Gentechnikfrei in Bayern“, 2000 „Die bessere Schulreform“ und 2003 „Menschenwürde ja – Menschenklonen niemals“. Die absolut erfolgreichsten Volksbegehren fanden 2010 zum „Nichtraucherschutz“ und im vergangenen Jahr zum Artenschutz „Rettet die Bienen“ statt.

Nicht aus dem Blickwinkel verloren haben die Ökologischen Demokraten bis heute das Thema „Atomkraft“. Neben den selbst initiierten Volksbegehren standen sie stets auch an der Seite der Atomkraftgegner. Martha Altweck-Glöbl erinnert sich: „Allein die Androhung eines Volksbegehrens über die weiteren Standorte für Atomkraftwerke in Bayern führte dazu, dass diese von der Landesregierung gestrichen worden sind.“

„Es wird sich der Planet für die Menschheit nicht als guter Lebensraum erhalten lassen, wenn wir nicht aufhören, derart extraktionistisch und expansiv zu leben und zu wirtschaften. Unser mitteleuropäischer Lebensstil braucht drei Planeten, obwohl wir doch nur einen haben.“

Bernhard Suttner

Bei der Vielzahl von Initiativen und Aktionen resümiert Altweck-Glöbl: „Es ist wirklich bewundernswert, was sich alles in diesen Jahren zugetragen hat – vor allem was Bernhard Suttner angestoßen hatte, wieviele Ideen er zum Leben erweckt hatte, wie still es im Kreistag wurde, wenn er seine Weihnachtsansprache vortrug und wie es ihm immer wieder gelang, die Parteimitglieder zu motivieren.“ Als Dankeschön für die über drei Jahrzehnte schenkte ihm der Kreisverband Straubing-Bogen und Stadt am Dienstag im Rahmen der Kreisversammlung ein Fünf-Jahres-Abonnement der ostbayerischen Kulturzeitschrift „Lichtung“, eine Zeitschrift, die sich mit Kultur, Musik, Architektur, aber auch mit grundlegenden politischen Fragen auf hohem Nieveau auseinandersetzt.

Martha Altweck-Glöbl (links) und Dr. Michael Röder (2. von links) bedanken sich bei Bernhard Suttner und dessen Frau, die nicht nur Mitbegründerin des ÖDP-Kreisverbandes ist, sondern auch die starke Frau an der Seite ihres Mannes. – Foto: Haas

Bernhard Suttner wollte eigenen Angaben zufolge mit seinen Parteifreunden im Kreisverband stets „an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken“ – mit 71 Jahren aber nicht mehr im Amt des ersten Vorsitzenden. Im Rückblick auf mehr als drei Jahrzehnte fiel ihm vor allem auf, dass keines der bearbeiteten Thmen falsch gewesen sei. „Nichts davon hat sich als falsch oder unsinnig erwiesen“, bilanzierte er. Im Hinblick auf die jüngste Ankündigung des Ministerpräsidenten, im Freistaat die Solarpflicht bei Neubauten einzuführen, sagte Suttner: „Wenn heute andere all das, was wir gefordert haben, mit ihrem Apparat perfekt bedienen, dann soll uns das nicht stören.“ Er appellierte zeitgleich an alle Gemeinden, schon heute keine Grundstücke für Neubauten mehr zu verkaufen, ohne in den Kaufverträgen fossile Heizungen auszuschließen und die Installation von Solaranlagen vorzuschreiben.