Straubing

Coronaverdacht: Die Odyssee einer jungen Frau in Straubing – hilflos und alleingelassen

(jh) Personen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV2 infiziert haben, deren Angehörige und Kontaktpersonen fühlen sich von Ärzten, Behörden und sonstigen Institutionen nicht selten vernachlässigt. Der Bayerische Rundfunk berichtete am Donnerstag über Probleme beim Gesundheitsamt Straubing. Unsere Redaktion erreichten inzwischen Hinweise, dass auch besorgte Menschen, die bei sich Infektionssymptome wahrnahmen und versuchten, getestet zu werden, auf sich allein gestellt blieben, ja in einem Fall teilweise sogar beschimpft wurden. Wir berichten heute über eine junge Frau, die uns ihre Odyssee schilderte.

Das Gesundheitsamt Straubing räumte gegenüber dem BR ein, bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen von Corona-Fällen Probleme gehabt zu haben. In dem BR-Beitrag erzählt sogar ein Straubinger Arzt, der selbst infiziert worden war, dass seine Eltern als direkte Kontaktpersonen zunächst nicht kontaktiert worden seien. Sie hätten sich selbst in Quarantäne begeben. Erst als ihre zweiwöchige Quarantäne schon vorbei war, seien sie schriftlich vom Gesundheitsamt Straubing informiert worden. Kein Einzelfall in Zeiten von Corona:

Am vergangenen Freitag – einem Brückentag – erlebte eine junge Frau aus Straubing eine Odyssee, die sie und ihr Umfeld sprachlos werden ließ. Nennen wir sie Simone. Sie ist noch keine 30 Jahre alt. Das Besondere: Beruflich ist sie in einem „Systemrelevanten Bereich“ tätig, hat also tagtäglich mit Menschen zu tun, die in Coronas-Zeiten besonders geschützt werden müssen.

Brückentage – des einen Freud, des anderen Leid

Bereits am Donnerstagabend stellte Simone bei sich Erkältungssymptome und eine erhöhte Temperatur fest. Am Freitagvormittag versuchte sie ihren und verschiedene andere Hausärzte telefonisch zu erreichen. Entweder die Praxis war geschlossen oder der Telefonanschluss war besetzt. „Die erste Praxis, in der ich dann jemand erreichen konnte, war eine Gemeinschaftspraxis in Straubing“, erinnert sich Simone und erzählt weiter: „Nachdem ich der Arzthelferin meine Lage erklärt hatte, meinte sie, ich dürfe auf keinen Fall mit diesen Symptomen (erhöhte Temperatur, Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit, Halsschmerzen, Kopfschmerzen) in die Praxis kommen. Ohne meine Versichertenkarte könne sie mir auch keine Überweisung ausstellen.“

Die Frage an die Arzthelferin, an wen sie sich wenden könnte, konnte sie ihr nicht beantworten. Aber sie versicherte, ihre Chefin würde Simone zurückrufen. Das tat diese aber nicht. Stattdessen wurde Simone eine halbe Stunde später von der Arzthelferin angerufen, die der Hilfesuchenden erklärte, laut der Ärztin könne „heute nichts mehr für sie getan werden“.  

Als nächstes versuchte Simone beim Bürgertelefon Hilfe zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Körpertemperatur noch weiter gestiegen. Die Frau am Bürgertelefon nannte Simone drei Hausärzte, welche wohl Abstriche machen würden. Sie räumte aber ein, nicht zu wissen, ob die Praxen an diesem Tag noch geöffnet hätten. Wenn sie niemanden erreiche, dann sollte sich Simone beim Bereitschaftsarztdienst melden. Außerdem erklärte sie Simone, dass die Ärzte wahrscheinlich sowieso keinen Abstrich machen werden, da sie – ihres Wissen nach – keinen Kontakt zu einem bestätigten Corona-Fall hatte. Sollte sie ihn trotzdem freiwillig machen wollen, würde Simone dafür mit 100 Euro zur Kasse gebeten werden. Von einer Schwerpunktpraxis wurde in diesem Gespräch nichts erwähnt. Die drei Hausärzte hatte sie an diesem Freitag tatsächlich nicht mehr erreicht.

„Ich wollte in erster Linie mein Umfeld schützen“

Simones nächste Anlaufstelle war die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB). Nach dem dritten Anrufversuch hatte sie endlich eine Frau in der Leitung, die ihre Daten aufnahm. Simone erinnert sich, dass ihr diese Frau erklärte, es wäre wichtig, dass bei solchen Symptomen ein Arzt komme. „Ich habe dann nachgefragt, ob das wirklich sein müsse, denn mir geht es ja nicht ganz so schlecht, dass ich sofort und gleich einen Arzt brauche. Ich wollte einfach nur die Möglichkeit, Gewissheit zu bekommen, ob ich mit dem Corona-Virus infiziert worden bin und jetzt eventuell mein Umfeld anstecken könnte.“ Aber sie blieb dabei: Es muss ein Arzt kommen – auch wenn es während der Nachtzeit sei. 

Überraschung dann gegen 21 Uhr. Die KVB-Mitarbeiterin rief bei Simone an. „Etwa fünf Minuten lang beschwerte sich die Frau auf sehr unhöfliche Weise darüber, dass ich angeblich einen Anruf des Arztes verpasst hätte. Anscheinend hätte ich Hilfe daher wohl gar nicht nötig“, hat Simone das Gespräch noch im Gedächtnis.

Anschließend wurde Simone mit einem Facharzt für Urologie, der seine Praxis im Landkreisgebiet hat, verbunden. Dieser erklärte ihr knallhart, dass er nicht vorbeikommen werde, nur um eine Krankmeldung auszuschreiben. Einen Abstrich könnte er sowieso nicht machen, weil er den Abstrich erst am Montag ins Labor schicken könne. Damit nicht genug: „Er fragte mich außerdem, wieso ich nicht zum Hausarzt gegangen sei. Um 21 sei es wohl der schlechteste Zeitpunkt, um zu merken, dass man eventuell Corona habe. Er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies so schwer sei.“ Am Ende des unfreundlichen Telefonates empfahl er der Patientin, sie sollte zur Bereitschaftspraxis beim Klinikum St. Elisabeth in Straubing gehen. Die sei für so etwas da.  

Bereitschaftsarzt stellt lediglich eine Krankschreibung aus

Nach einer nahezu schlaflosen Nacht – entsetzt über ihr bisher Erlebtes – versuchte Simone gleich am Samstagmorgen bei der Bereitschaftspraxis anzurufen. Dafür gibt es jedoch nur die zentrale Rufnummer 116117.  Simone wandte sich deshalb ans Informationsstelle des Klinikums und wollte wissen, ob sie mit ihren Grippesymptomen in die Praxis kommen dürfe. Ihre Gesprächspartnerin habe ihr geantwortet „Ja klar, natürlich dürfen Sie kommen.“ In der Bereitschaftspraxis eingetroffen, war jedoch der erste Hinweis der Arzthelferin, „dass sie mich jetzt eigentlich wieder rausschicken müsste, denn ich dürfe mit diesen Symptomen nicht in die Praxis kommen.“

Verzweifelt fragte Simone, ob man ihr nicht wenigstens sagen könnte, an wen sie sich wenden könne. Der Bereitschaftsarzt, der hinzugeholt wurde, erklärte Simone: „Untersuchen darf ich Sie nicht. Ich muss einen Sicherheitsabstand einhalten. Einen Abstrich kann ich nicht machen.“ Außerdem konnte er mir nicht sagen, an wen ich mich jetzt noch wenden sollte. Stattdessen stellte er Simone eine Krankschreibung aus. 

Hilfe vom Landratsamt

In ihrer ausweglosen Situation wandte sich Simone noch am Samstag an regio-aktuell24. Wir erreichten daraufhin Tobias Welck, den Pressesprecher am Landratsamt Straubing-Bogen. Nachdem wir ihm die Situation geschildert hatten und um Auskunft baten, erhielten wir eine detaillierte Antwort für alle Betroffenen: „Gestern (Anm. der Red.: Freitag) hätte es die Möglichkeit der Schwerpunktpraxis am Hagen (9 bis 11 Uhr) gegeben. Außerdem wäre Bürgertelefon zur Verfügung gestanden. Dort habe man die Kontakte der Hausärzte, die Abstriche machen. Am Samstag gibt es für solche Fälle die Telefonnummer der KVB, 116117. Die Ärzte kommen nach Hause bzw. müssen bei Symptomen auch kommen, um einen Abstrich zu nehmen. Nach einer Testung gilt die betroffene Person bis zum Ergebnis als Verdachtsperson und steht unter Quarantäne. Sollte eine Testung – warum auch immer – erst am Montag möglich sein, dann dürfe die Person vor der Testung keine Kontakte in ihrem Berufsumfeld aufnehmen. Sollten die Symptome deutlich schlechter werden (Fieber, Atemnot), dann sollte die 112 angerufen werden.“

Simone hatte eigentlich alles richtig gemacht. Ja, die Schwerpunktpraxis war ihr nicht eingefallen. Offensichtlich ist diese vom Landratsamtssprecher genannte Vorgehensweise nicht bei allen beteiligten Einrichtungen – inklusive Ärzten – bekannt. Mit altbewährten Hausmitteln, Medikamenten aus der Hausapotheke und mit viel Ruhe gelang es Simone bis zum Montag die grippalen Symptome zu reduzieren. Sie begab sich selbst in Quarantäne. Eine Woche später fühlt sich Simone gesundheitlich wieder stabil. Immer noch enttäuscht über die Beteiligten sagte sie gegenüber regio-aktuell24: „Erleben möchte ich diese Odyssee nicht noch einmal.“