"Bergdorf beeeeeeebt!" – Englmarer Rauhnacht – Blick hinter die Kulissen
(ra) „Bergdorf beeeeeeeeeeebt!“ so wird es wieder hallen, wenn Andi Aichinger, der Rauhnachts-Moderator die Stimmung bei der größten Winterparty des Bayerischen Waldes in Sankt Englmar anheizt. Doch bis es – wie jedes Jahr am 28. Dezember – um 17 Uhr bei der großen Rauhnachtsparty am Englmarer Kirchplatz losgeht, ist einiges an Vorarbeiten notwendig.
Sie waren in diesem Jahr besonders intensiv, gibt es doch seit dem Frühjahr eine neue Vorstandschaft beim Wintersportverein, der zusammen mit der Gemeinde als Veranstalter der Rauhnacht fungiert. Somit wurden viele Positionen neu besetzt und das Organisationsteam völlig neu aufgestellt. Zwar blieben einige zentrale Posten erhalten, aber mit dem neuen 1. Vorsitzenden, Mario Muhr, hat auch das Orgateam einen neuen Kopf erhalten.

Bereits Ende September trifft sich das Organisationsteam, etwa fünfzehn Mitglieder des Wintersportvereins Sankt Englmar, zur ersten Vorbesprechung. Man hält noch einmal Rückschau, diskutiert über den groben Ablauf und sammelt neue Ideen für die nächste Rauhnacht. Denn etwas Neues will man eigentlich jedes Jahr bieten. Hausaufgabe für die Beteiligten bis zur nächsten Sitzung ist die Prüfung der Umsetzbarkeit… Nachdem im letzten Jahr erstmals die Minirauhwuggerl und Zwerghexen mit großem Erfolg aufgetreten sind, kann die Rauhnacht in diesem Jahr mit einer neuen Feuershow und einer neuen Truppe von Wolfausläutern aufwarten. „Wir sind beim Bewährten geblieben und haben mit den neuen Darstellern doch frischen Wind in die Veranstaltung gebracht“, sagt der neue Rauhnachtschef, Mario Muhr. Man darf gespannt sein, wie die neuen Programmpunkte beim Publikum ankommen.
Etwa zeitgleich zum Organisationsteam starten die Rauhwuggerl, also die Hauptdarsteller bei der Rauhnacht, die Vorbereitungen für ihren großen Tag. Die Masken und Gewänder werden überprüft, und wenn notwendig repariert. Denn der Job des Rauhwuggerls ist hart: Nicht selten muss er auf seinem Zug durch die Wirtsstuben und beim Lauf durch die Menschenmenge bei der Rauhnacht „Federn lassen“. Und natürlich ist es den rauhen Gesellen eine Freude, ihre Masken und Kostüme wieder aufzupolieren und mit neu erworbenen Accessoires auf Vordermann zu bringen: So mancher Rauhwuggerl legt dabei eine wahre Putzsucht an den Tag. Schaurig-schöne Gestalten sind das Ergebnis der Bemühungen.

Das Gewand und die einfache Holzmaske wiegen in Summe etwa fünf Kilo, eine schwere Holzmaske in Kombination mit einem echten Ziegenfell und großen Glocken hingegen kann gut und gerne um die 20 Kilo auf die Waage bringen. Entsprechend kräfteraubend wird auch die Rauhnacht, in der die Rauhwuggerl eine erhebliche Strecke durch das ganze Dorf zurücklegen.
Um Sinn und Zweck der Maskierung zu verstehen, muss man etwas in die Vergangenheit blicken: Die Menschen in früheren Zeiten hatten großen Respekt vor der kalten Jahreszeit, in der Kälte, Finsternis und oft auch starke Winterstürme herrschten. Speziell zwischen Weihnachten und Sylvester, zur Zeit der kürzesten Tage und längsten Nächte des Jahres, haben sich die Rauhwuggerl aufgemacht, die um die Jahreswende tobenden bösen Geister, das Schlechte des alten Jahres und die Wesen aus der Anderwelt, die sich in den Rauhnächten unter die Lebenden mischten, zu vertreiben. Um die eigene Angst zu bewältigen und den Geistern im Gegenzug einen gehörigen Schrecken einzujagen, braucht ein Rauhwuggerl eine furchterregende Maske, ein gruseliges Gewand und vor allem Dinge, die einen höllischen Lärm verursachen, eben große Glocken oder Schellen, Stöcke und Ketten.

„Die ursprünglichen Masken sind relativ ähnlich, aber natürlich kann jeder Rauhwuggerl seiner Kreativität (fast) freien Lauf lassen und deshalb sind unsere Masken und Kostüme doch so unterschiedlich.“, erklärt der neue Rauhwuggerl-Chef Peter Piermeier. So trifft man auf die unterschiedlichsten Varianten und Kombinationen von Masken, Fellen, Hörnern und Geweihen und übrigen Ausrüstungsgegenständen, wie Glocken, Stöcken, Ketten, etc.
Eines jedoch haben die meisten Masken gemeinsam: Sie wurden vom Englmarer „Rauhnachts-Erfinder“ Sepp Piermeier geschnitzt und von dessen Bruder Hans Piermeier bemalt. Für die Masken der Minirauhwuggerl und Hexen sind noch die Eltern zuständig., Auch hier hilft man sich untereinander mit Ausrüstungsgegenständen, Fellen und vor allem handwerklichem Wissen.
In Schach gehalten wird die Rasselbande von Karin Pfender, der ihr pädagogischer Background als Lehrerin sehr zugute kommt. Unterstützt wird sie von Christian Sima, der als Jugendleiter im WSV, Fußballtrainer der F-Jugend und langjähriger, immer noch aktiver Rauhwuggerl alle Voraussetzungen mitbringt, um als Mentor für den Nachwuchs zu fungieren.
„Ich kann nur sagen, an diesem Abend werden wieder Geschichten geschrieben. Es gibt Rauhnächte, die man gerne nochmal erleben möchte, weil die Rauhnacht immer magische Momente hat, sowohl für die Darsteller als auch für die Zuschauer.“ fasst Christian Sima die „Faszination Rauhnacht“ zusammen. Und diese Faszination hat auch seine gesamte Familie erfasst: Seine Frau Simone ist seit Jahren festes Mitglied bei den „großen Hexen“ und die Kinder Hannah und Luca sind mit Feuereifer bei den Minis dabei.

Sind die Minis noch unter sich, werden die großen Rauhwuggerl von schaurigen Gestalten, wie dem Bluadigen Dammerl und der Lucia, die in früheren Zeiten Eltern einer großen Kinderschar oft als „Erziehungshilfen“ dienten.
Mit dabei in diesem Reigen ist auch die “Drud“. Die Drud ist in vielen bayerischen Regionen und im Alpenraum fest im Volksglauben verwurzelt. Der Erzählung nach ist sie eine große, dicke, alte und hässliche Frau, die sich nachts auf die Brust ihres schlafenden Opfers setzt und diesem die Luft abdrückt. Die „befallenen“ Menschen berichten von Atemnot, Schweißausbrüchen und gruseligen Alpträumen, kurz gesagt: sie wurden von der „Drud druckt“. Natürlich haben sich die „Heimgesuchten“ allerlei Hilfsmittel zur Abwehr der Drud einfallen lassen. Das eine oder andere wird auch beim Auftritt von diesem „greislign Weibads“ zu sehen sein.
Während sich auf der Bühne am Abend der die große und kleine Rauhwuggerl und Hexen, die Wolfausläuter aus Drachselsried und die Feuer-Jongleure abwechseln, herrscht an den Schneebars und Essenshütten Hochbetrieb. Etwa 80 freiwillige Helfer schenken Glühwein, Kinderpunsch und Hot Caipi aus, versorgen die Hungrigen mit Würschtln, Gulaschsuppe, Ofenkartoffeln und Apfelstrudel, stellen die Nachschubversorgung sicher und kümmern sich um die Müllentsorgung.
Im Bereich der Versorgung ist trotz vieler Neubesetzungen personell alles beim Alten geblieben und so kümmern sich um das leibliche Wohl der Besucher auch weiterhin Roland Feldmeier und Robert Bugl, der als Einzelhändler an der Quelle sitzt. Er hat den besten Riecher dafür, was momentan in der Christkindlmarkt-, Schnee- und Schirmbarszene “in” bzw. “out” ist. Heuer sind die Rauhnachtsmacher wieder selbst kreativ geworden und haben nach einigem Probieren nun ein Heißgetränk auf Gin-Basis im Angebot, den „Bluadigen Dammerl“.

Aber nicht nur das „was?“, sondern v.a. das „wie viel?“ ist zu klären: Wie viele Besucher werden kommen? Wie viel wird konsumiert? “In früheren Jahren wurde man förmlich überrannt. Es ist schon vorgekommen, dass eine bestimmte Hütte um sieben zumachen musste, weil alles ausverkauft war.“ weiß Roland Feldmeier. Mittlerweile kann man den Bedarf relativ gut abschätzen: Wetter und Wochentag sind mit die wichtigsten Determinanten für den Verbrauch und so hat man heuer nicht nur eine weitere Bar installiert, sondern wartet wirklich bis zur letzten Gelegenheit, um das Getränkeangebot festzulegen. „Sollte es weiter sehr mild bleiben, bieten wir am der neuen Bar auch ein Radler an.“ sagt Robert Bugl. Aber natürlich gibt es Unwägbarkeiten. Was, wenn trotz bester Vorhersagen ein plötzlicher Eisregen die Region lahmlegt und sich keiner mehr aus dem Haus wagt? So ist es vor einigen Jahren passiert.
Woraus eine Schneebar bauen, wenn die heißersehnte weiße Pracht noch länger auf sich warten lässt bzw. die angelegten Depots aufgrund der hohen Temperaturen schmelzen? Auch dafür haben die Rauhnachtsmacher natürlich einen Plan B.
Damit rund um das Event alles wie am Schnürchen läuft, sind die drei örtlichen Feuerwehren aus Sankt Englmar, Rettenbach und Klinglbach im Einsatz, regeln den Verkehr und sorgen für Sicherheit und einen geregelten Ablauf. Wie jedes Jahr hoffen die Veranstalter, dass die Bergwacht, die den Sanitätsdienst übernimmt, möglichst arbeitslos bleibt.
Mit allen Darstellern und Helfern sind ca. 200 Englmarerinnen und Englmarer beinahe aller Altersgruppen im Einsatz bei dem großen Winterevent. Dies freut auch Bürgermeister Anton Piermeier, der in dieser Veranstaltung einen Beweis für den guten Zusammenhalt und die intakte Dorfgemeinschaft sieht und vor allem das Engagement des Wintersportvereins und aller Beteiligten lobt. „Nur durch den unermüdlichen Einsatz der zahlreichen Helferinnen und Helfer konnte die Rauhnacht ihren Stellenwert und den hohen Bekanntheitsgrad weit über die Grenzen des Landkreises hinaus erreichen.“
Und so hoffen die Veranstalter, dass sich ihre Anstrengungen und Mühen gelohnt haben und auch in diesem Jahr viele Rauhnachts-Begeisterte den Weg nach Sankt Englmar finden.
Auskünfte:
Tourist-Information Sankt Englmar, Rathausstr. 6, 94379 Sankt Englmar, Tel. 09965/840320, Fax 09965/840330. E-Mail: tourist-info@sankt-englmar.de